Historische Wurzeln

Mit religiöse Sozialistinnen und Sozialisten war und ist immer gemeint:

  • Wir sind als Christ(inn)en zugleich Sozialist(inn)en.
  • Wir sind dies aus christlichem Glauben heraus, wir warten auf Gottes kommendes Reich – aber wir warten “tätig”.
  • Die Verwirklichung des Liebesgebotes und die Befreiung des Menschen durch Jesus Christus lassen uns nach sozialistischen Konzeptionen suchen, in denen die gegenseitige geschwisterliche Hilfe und die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung des einzelnen Menschen – als Bedingung der Selbstentfaltung aller – Leitlinien sind.

Der “Frühsozialismus” brachte eine Vielzahl unterschiedlichster Modelle und Ansätze hervor, die allesamt eine bessere Gesellschaft schaffen sollten. Darunter gab es auch eine Strömung, die von einem Bergpredigt-Christentum ausgehend argumentierte. In Deutschland ist dieser “Liebeskommunismus” vor allem mit der Person des Schneiders und “Handwerker-Kommunisten” Wilhelm Weitling (1808-1878) verbunden. Weitling vertrat im jesuanischen Sinne die Gütergemeinschaft und entwarf eine Verfassung der künftigen kommunistischen Gesellschaft.

Ein bedeutsamer Traditionsstrang ist die breit ausdifferenzierte Bewegung des Anarchismus. Im Zentrum des Anarchismus, der von vielen seiner Vertreter(innen) auch als “Iibertärer Sozialismus” definiert wird, steht der sozialistische Freiheitsgedanke und die Abschaffung des Staates, der als Zwangsgewalt verstanden wird. Wesentlich sind die Freiheit des Individuums und seine Assoziation mit anderen. Gerade nach dem Ende der staatssozialistischen Experimente ist es wichtig, sich der Kritik des Anarchismus an einer “Verstaatlichung” des Sozialismus zu erinnern und die Anfragen nach individueller Freiheit, kommunitärem Aufbau, Selbstverwaltung und Dezentralisierung aufzunehmen.

Ein pluraler Marxismus, verstanden als Soziologie, d.h. als Theorie gesellschaftlicher Entwicklungen, ist für uns überaus nützlich und bei der Beurteilung gesellschaftlicher Vorgänge unverziehtbar. Im Gegensatz zu denen, die an den Marxismus glauben und denen, die von uns eine Distanzierung vom Marxismus verlangen, halten wir an den Errungenschaften von 150 Jahren marxistischer Theorie- und Strategiebildung fest.

Gegenüber der totalitären Ausprägung des Leninismus, die kenntlich machte, zu welchen fürchterlichen Konsequenzen Systeme führen können, in denen der Zweck die Mittel heiligt und in der die bürgerliche Demokratie ersatzlos abgeschafft wurde, statt sie zu einer sozialistischen Demokratie weiterzuentwickeln, vertreten wir den Gedanken und das ursprüngliche Konzept einer sozialistischen Demokratie. Streikrecht, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, Meinungsfreiheit und die Freiheit der Reise sind kein Luxus, sondern unverzichtbare Voraussetzungen eines Sozialismus, für den sich Menschen engagieren können. Auch im Sozialismus wird es weiterhin einen Streit unterschiedlicher Positionen geben. Diese Positionen bedürfen ihres organisatorischen Ausdrucks, seien es nun Parteien oder andere Organisationsformen.

Als 1899 und 1900 mit Christoph Blumhardt, einem Pietisten, und Paul Göhre, einem Liberalen, unabhängig voneinander zwei bekanntere evangelische Theologen der SPD beitraten, begann eine Bewegung zu entstehen, die ihren Ausdruck und ihre Form im religiösen Sozialismus fand. Von Anfang an kamen religiöse Sozialistinnen und Sozialisten aus den verschiedensten theologischen Lagern des jüdisch-christlichen Spektrums.
Es gehört zu den Kennzeichen des religiösen Sozialismus, selbst keine neue theologische Richtung geschaffen zu haben. Nach dem 1. Weltkrieg bildeten sich in Baden, Thüringen, im Rheinland und in Norddeutschland Gruppen religiöser Sozialist(inn)en. Im Dezember 1919 entstand in Berlin die erste Organisation, die den Namen Bund der religiösen Sozialisten trug, und bald folgten weitere Gründungen. 1924 schlossen sich diese regionalen Verbünde zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, und 1926 entstand daraus der Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands (BRSD).

Gott handelt im Gegensatz zu allen menschlichen Erwartungen.
Er handelt überraschend, unerwartet, paradox

-Paul Tillich
© Deutsche Paul Tillich Gesellschaft

Anfang 1933 bestanden 11 Landesverbände mit ca. 25.000 Mitgliedern. An überregionalen Organen erschienen die Wochenzeitung Sonntagsblatt des arbeitenden Volkes und die theoretische Zeitschrift für Religion und Sozialismus. Der BRSD führte in der Weimarer Republik, einen entschiedenen Kampf gegen Militarismus, Nationalismus und sehr früh gegen den aufkommenden Faschismus. Dies machte den BRSD gerade bei der gesellschaftlichen Rechten verhasst und bedeutete nach dem Beginn der Nazi-Ära sein Ende durch die staatliche Repression.

Nach 1945 entstand der BRSD neu. Die 1946 in Ostdeutschland entstandenen Regionalgruppen verfielen der Auflösung, viele ihrer Initiator(inn)en flohen in den Westen, einzelne wurden inhaftiert. Im Westen wurde der Bund im kalten Krieg zwischen den Machtblöcken zerrieben. In den 1970er Jahren war nur ein kleiner Rest übrig geblieben, der zusammen mit ChristInnen aus der StudentInnenbewegung den Bund neu aufbaute.

Eine weitere Wurzel ist die breite Frauenbewegung der Weimarer Zeit. Namen wie Minna Cauer, Lydia Stöcker, Hildegard Wegscheider usw. sind als aktive Genossinnen zu nennen. Der BRSD hatte unter seinen Mitgliedern sehr viele Frauen, was sich im Gegensatz zu anderen Organisationen
auch in den Funktionen auswirkte. Arbeiterinnen, Lehrerinnen etc. waren in vielen Bereichen die Trägerinnen der örtlichen und regionalen Arbeit.