
Offener Brief des Bundes der religiösen Sozialistinnen und Sozialisten Deutschlands e.V. zur geplanten Kanzelrede von Ministerpräsident Söder am 31.10.2025 in der Matthäuskirche Ingolstadt an die Kirchenleitung der evangelischen Kirche in Bayern
Sehr geehrter Herr Landesbischof Christian Kopp,
sehr geehrter Herr Regionalbischof Klaus Stiegler,
am Reformationstag soll der Bayerische Ministerpräsident Söder eine Kanzelrede zum Motto „Christsein im Alltag“ halten: Wie die Kirchen und ihre Mitglieder dieses Christsein leben sollen, haben in den letzten Monaten immer wieder besonders auch CDU und CSU – Politiker empfohlen. Kaum hatten die Kirchen im Frühjahr 2025 die Migrationspolitik der CDU und die Unterstützung, die sie sich bei der AfD besorgt hatte, als inhuman kritisiert, mahnte der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Kirchen, sie sollten sich stärker auf „christliche Themen“ konzentrieren. „Ich würde mir aber auch bei Fragen, die den Kern des Christentums berühren, eine lautere Stimme der Kirchen wünschen – beispielsweise beim Lebensschutz und beim Paragrafen 218.” So CSU-Chef Markus Söder beim kleinen CSU-Parteitag in Nürnberg. Bayern stehe zu den Kirchen wie kaum ein anderes Bundesland. „Vielleicht als kleinen Merkposten, nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht. Es sind nämlich wir”, so Söder, “Wir sind wohl das kirchenfreundlichste Bundesland in Deutschland. Sei es mit Kreuzen, Religionsunterricht, Steuern, Gehältern übrigens, die bezahlt werden, und auch die Feiertage (…). Das macht sonst übrigens keiner.” Diese Äußerungen offenbaren ein fragwürdiges Verständnis von der Rolle der Kirchen in einer pluralistischen Gesellschaft. Wenn Politiker oder Politikerinnen meinen, die Kirchen ermahnen zu müssen, bei ihrem Kerngeschäft zu bleiben, ist erhöhte Wachsamkeit geboten.
Im Klartext sagt der Ministerpräsident: Wer zahlt, schafft an! Worauf Bayerns Ministerpräsident anspielt, ist das sogenannte Bayern-Konkordat. Doch Pfarrergehälter, wie die Söder-Äußerung vermuten lassen könnte, werden nicht finanziert, auch nicht die von Mesnern, Pfarramtsmitarbeitenden oder anderen kirchlichen Angestellten. Die Ampel-Koalition wollte die kaum mehr zu vermittelbaren Staatsleistungen, gegen die der Bund der religiösen Sozialisten schon in der Weimarer Zeit gekämpft hatte, ablösen, doch die CSU war dagegen. Doch der Ministerpräsident Bayerns will eine staatsfromme Kirche, die sich aus der Politik heraushalten will. Sie soll sich um die Seelen kümmern, Trost spenden und sich um den Lebensschutz kümmern. Söders Mahnungen lassen doch sehr an Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1896 erinnern: „Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen, aber die Politik aus dem Spiel lassen, dieweil sie das gar nichts angeht.“
Diese Ermahnung der Kirchen kam nicht aus dem blauen Himmel, sondern war eine Reaktion auf die pointierte Stellungnahme des Büros der Kirchen in Berlin an eine CDU, die mit AfD-Stimmen eine scharfe migrationspolitische Wende einleitete. Die Kirchen hatten mehr Menschlichkeit angemahnt und bemängelt, dass die Gesetzesvorhaben der CDU kein Beitrag zur Problemlösung und zudem auch rechtswidrig seien. Eine solche Partei darf eine Stellungnahme der Kirchen nicht abtun, wenn die Kirchen für mehr Menschlichkeit eintritt. Eine solche Geste ist für eine Partei, die das C im Namen führt, ein Skandal. Der Schutz der Rechte von geflüchteten Menschen ist ein urchristliches Thema. Die Kirchen sind bei ihrer Sache, auch wenn Söder und andere in der CDU und CSU hier unbehelligt von den Kirchen agieren wollen. Deshalb sollten wir den Ministerpräsidenten, bevor er seine womöglich populistischen Reden, die wir von ihm gewohnt sind, auf der Kanzel in Ingolstadt halten will, erst einmal fragen, wie seine sonstigen Reden mit dem christlichen Grundverständnis für die Schwachen und Benachteiligten zu agieren, zusammengehen.
Die Kirchen sind gut beraten, sich nicht wohl zu verhalten gegenüber denen, die sie finanziell abhängig machen wollen. Die Kirchen haben nicht die Aufgabe, den politisch Verantwortlichen nach dem Munde zu reden. Sie würden damit die Sache, für die sie stehen, im Kern verraten. Eine demokratische Gesellschaft braucht Kirchen, die sich öffentlich zu Wort melden, die sich besonders für die Schwachen und Verletzlichen einsetzen – und zu ihnen gehören besonders auch die Menschen, die vor Krieg und Terror in unser Land geflohen sind. Die Kirche dient Gott und den Menschen am meisten dadurch, wenn sie sich genau durch das Aussprechen von Wahrheiten, auch unbequemen Wahrheiten, am gesellschaftlichen Diskurs beteiligt und so zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beiträgt. In diesem Sinne darf Kirche jedenfalls, ja muss sie auch politisch sein. Eine Ordnung respektierter Menschenwürde und geschützter Freiheiten zu verteidigen, ist geradezu der Bekenntnisfall. Heute nimmt die Zahl der liberalen Demokratien wieder ab. Aber viele bei uns scheinen den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben. Wenn die Kirche sich für die Schwachen engagiert, ist das das Engagement für eine lebendige Demokratie. Kirche findet nicht in der Sakristei statt, sondern auch im Diskurs und Einsatz für Menschenwürde und Menschenrechte zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen. Dieses sehen wir im Politiker Markus Söder gerade in der gegenwärtigen Diskussion nicht verkörpert und lehnen von daher vehement seine Kanzelrede ab. Wer etwas über Christsein im Alltag sagen will, muss Taten voranstellen.
Kirche macht keine Parteipolitik. Eine Kirche, die sich heraushält, verrät ihren Auftrag. Eine Kirche, die sich einmischt, lebt ihn. Sie ist nicht stumm im politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Indem sie sich zu Wort meldet, wo Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität auf dem Spiel stehen, bleibt sie ihrem Kernauftrag treu Gerade in einer Zeit, in der politische und gesellschaftliche Debatten zunehmend polarisiert sind, braucht es das Engagement aus dem Geist des Evangeliums heraus und es braucht Orientierung – parteilich und eindeutig für die Schwachen. Wir sehen nicht, dass Herr Söder, der sich sehr stark an der gesellschaftlichen Polarisierung beteiligt, der Richtige für diesen kirchlichen Auftrag aus dem Geist des Evangeliums heraus sein kann.
Ingolstadt, 29.09.2025
Der Bundessekretär Andreas Herr des Bundes der religiösen
SozialistInnen Deutschlands e.V. für den Vorstand