Die eigenen Ideale waren zu groß

Dieser Text stammt von der Webseite https://www.publik-forum.de/Religion-Kirchen

von Christoph Fleischmann

Der Weltkirchenrat traut sich keinen offenen Dialog zu. Doch er ist sich der Weltprobleme bewusst. Die Vernetzung der Kirchen bleibt ein unverzichtbares Korrektiv gegen nationale Borniertheit.

Am Ende einigt sich die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) nur darauf, dass sie nicht einig ist: Einige Mitgliedskirchen meinen, dass man Israels Politik mit dem Begriff Apartheid beschreiben kann, andere lehnen das klar ab. Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat das nochmal mit deutlichen Worten Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber gesagt: »Als Kopf der deutschen EKD-Delegation sage ich ganz klar: Wir werden nicht von Israel als Apartheidstaat reden.« Diese Intervention bei der ersten Lesung der Resolution konnte man als Ziehen einer roten Linie verstehen – ungewohnt für ein Konsensverfahren. Dem Anspruch des ÖRK wäre es angemessener gewesen, sich früher offen über die unterschiedlichen Wahrnehmungen auszutauschen. Vielleicht hätte man Lernprozesse anstoßen können. So blieb nur noch die Feststellung des Dissenses. Das immerhin ist ehrlich.

In der Erklärung wird weiterhin, wie es bisher auch ÖRK-Politik war, das Existenzrecht Israels bekräftigt, die Gewalt von beiden Seiten und die illegale Siedlungspolitik Israels verurteilt, besonders mit Blick auf Ost-Jerusalem. Es wird festgestellt, dass den Palästinensern die gleichen Rechte vorenthalten werden unter einem »System der Kontrolle, Ausschließung und Diskriminierung«. Und dass die Zwei-Staaten-Lösung durch die fortgesetzten Siedlungen zunehmend unrealistisch werde. Das ist nicht viel Neues und teilt die internationale Ratlosigkeit wie dieser Dauerkonflikt jemals befriedet werden könnte. Ähnlich sieht es bei der Stellungnahme zum Ukraine-Krieg aus: Es wird bestätigt, was der Zentralausschuss schon im Juni gesagt hat: Der Krieg ist »illegal und nicht zu rechtfertigen«. Der Missbrauch religiöser Sprache zur Rechtfertigung des Krieges wird entschieden zurückgewiesen. Alles korrekt. Aber auch wenig weiterführend. Denn der vielbeschworene Dialog mit der russischen Orthodoxie fiel ebenso aus. Dafür hätte man sich trauen müssen, deren Stimmen zu hören. So waren die Delegierten der russisch-orthodoxen Kirche bis auf ein kurzes Statement leise anwesend, und man konnte lediglich hoffen, dass sie das Unverständnis der anderen Kirchen über ihre Position nach Hause tragen. Das ist aber ist noch kein Dialog. In einem Interview fragte der Sprecher der russischen Delegation einen Journalisten, ob er wolle, dass die russisch-orthodoxe Kirche in Opposition zum Staat gehe? Diese Frage lässt aufscheinen, dass die Empörung im Westen weniger kostet als die Opposition in Russland kosten würde. Und sie macht auch sichtbar, dass nicht nur die russische Orthodoxie, sondern viele Kirchen weltweit lieber den Weg der vermeintlichen Beschränkung aufs rein Religiöse gehen, als die scharfe Konfrontation zu suchen. Nach dem Motto: Für Politik sind wir nicht zuständig.

Man muss das beileibe nicht richtig finden, aber wenn solche Fragen auf offenem Podium gestellt worden wären, hätte man einen Dialog wenigstens begonnen. Und man hätte dann auch selbstkritisch bekennen können, dass auch die deutschen Kirchen es nicht vermocht haben, sich 1939 einem völkerrechtswidrigen Krieg entgegenzustemmen. Vielleicht sind Kirchen als gesellschaftstragende Institutionen selten so tapfer, wie sie ihrer Botschaft nach sein müssten. Wichtiger als der Welt zu sagen, wo es lang geht, ist es für die Gemeinschaft der 352 Kirchen sich selber in ein kritisches Verhältnis zu den Problemen der Welt zu setzen. Es waren die stärksten Momente der Vollversammlung als diese Selbstkritik aufblitzte: dass Kirchen Raubbau an der Umwelt gerechtfertigt haben, Kolonisierung von Indigenen oder Diskriminierung von Menschen aufgrund von Rasse, Geschlecht oder Behinderung geduldet und mitgetragen haben. »Ein enges anthropozentrisches Verständnis von unserer Beziehung mit der Schöpfung muss überarbeitet werden und zu einem Verständnis des gesamten Lebens werden, wenn wir ein zukunftsfähiges, nachhaltiges globales Ökosystem verwirklichen wollen«, heißt es in einer Erklärung. Es die Stärke der Kirchen, dass es unter ihnen ein relativ hohes Bewusstsein von den Problemen in der Welt gibt. Und wenn der ÖRK gut ist, dann nicht, weil er auf seiner Vollversammlung großartige Resolutionen beschließt, sondern weil er in seiner Programmarbeit das Bewusstsein für Klimagerechtigkeit, Gewalt gegen Frauen oder rassische Diskriminierung in vielen Gegenden der Welt verbreitet – und im günstigsten Fall damit Probleme benennbar und veränderbar macht. Dass der ÖRK an seinen hehren Idealen scheitert, wurde auch bei der Besetzung des Zentralkomitees, dem höchsten Gremium zwischen den Vollversammlungen, deutlich. Insbesondere die jungen Leute fühlten sich übergangen. Viele Bischöfe und Kirchenobere wollten ihre Plätze nicht räumen, so dass die Quote von 25 Prozent Jugenddelegierten nur rund zur Hälfte erfüllt werden konnte. Eine junge Frau aus England brachte die Entrüstung ihrer Generation treffend zum Ausdruck, als sie die gesetzten Delegierten direkt ansprach: Wenn ihr euch jetzt nicht um junge Leute bemüht, dann ist keiner mehr da, um euch zu ersetzen, »when you pass to glory«. Schadenfreude, dass der ÖRK an seinen eigenen Quoten scheitert, ist jedoch unangebracht: Immerhin bietet er ein Forum für Streit darum, entwickelt sich weiter und ist mit seinen Quotenregelungen ein Vorreiter in der kirchlichen Welt – auch für Deutschland. Die Vollversammlung hätte in der Tat mehr sein können, als sie war. Aber das sollte kein Grund für einen Abgesang auf die anstrengende Arbeit internationaler Vernetzung sein. Sie bleibt ein wichtiges Korrektiv gegen nationale Borniertheit, die sich selbst für die wahre Gestalt des Christlichen hält. Das sollte ein bleibender Ansporn sein, es bei der nächsten Vollversammlung in acht Jahren besser zu machen.