Paul Schobel: Weihnachtspredigt 2024
gehalten in der Vater-unser-Gemeinde Böblingen
„EIN EWIG LICHT GEHT DA HEREIN…“
Eine neue Wortschöpfung geisterte in den letzten Wochen übers Land: Die „Dunkel-Flaute“. Skeptiker der „Erneuerbaren Energien“ beschwören mit diesem Wort immer mal wieder einen bevorstehenden „Black-out“. Klar – kurze Tage und dazu noch ein ständig bewölkter Himmel werfen kaum Solarstrom ab. Bei Windstille schwächeln auch noch die Windräder. Dann muss teurer Strom aus dem Ausland importiert werden.
(1)
„Dunkel-Flaute“ – dieses Doppelwort trifft gegenwärtig voll ins Schwarze, was die Welt- und unsere Gemütslage betrifft: Finsternis bedeckt die Erde und Dunkelheit die Völker.
- Gottverdammte Kriege überziehen gegenwärtig die Menschheit mit einem Leichentuch. Unfähig, aus der Geschichte zu lernen, fallen die Völker und vor allem ihre Machthaber immer und immer wieder zurück in primitive kriegerische Gewalt. Verheizen dabei ihre junge Generation und schicken Hunderttausende in einen völlig sinnlosen Tod. Millionen müssen fliehen. Und dies, obwohl man längst weiß, dass Massengräber und Trümmerberge noch nie Konflikte gelöst, sondern nur verschärft haben. Denn Gewalt eskaliert. Wird sie nicht im Keim erstickt, schraubt sie sich wie eine tödliche Spirale immer weiter voran in den Abgrund. Nun sind wir einem dritten und letzten Weltkrieg so nahe wie noch nie. Und kaum ein Lüftchen rührt sich, kein Gegenwind gegen eine solche katastrophale, verbrecherische Politik: „Dunkel-Flaute“. Statt dessen nur dumpfe, lähmende Angst vor einem globalen „Black out“, in dem die Lichter für immer verlöschen.
- Verheerend sind die Auswirkungen von Rüstung und Krieg im Blick auf den Klima-Wandel, die eigentliche Herausforderung für die Menschheit. Als größte Umweltverschmutzer befeuern und beschleunigen Rüstung und Krieg die Klima-Katastrophe. Auch uns treffen nun schon extreme Wetterereignisse. In wenigen Jahren werden uns ganze Heerscharen von Klima-Flüchtlingen überschwemmen, dann sind neue Kriege vorprogrammiert. Es wird immer offenkundiger: Wenn die Kriege nicht vom Erdboden verschwinden, wird die Menschheit vom Erdboden verschwinden. Kriege fressen jene Ressourcen auf, mit denen wir die Klima-Katastrophe zwar nicht mehr abwenden, aber zumindest mildern könnten.
- „Dunkel-Flaute“ auch, was die Demokratie anbelangt. Viele Staaten driften nach rechts. Allenthalben übernehmen gewählte Despoten die Macht. Immer noch mehr Egozentrik, völkischer Nationalismus, Rassismus verdunkeln die Aussicht auf eine friedliche Zukunft. Und dies alles wird noch von einem Wirtschaftssystem befeuert, das mit Konkurrenz und Wettbewerb nur die Starken favorisiert und die Schwachen ausgrenzt. Jetzt brennt auch wieder die Arbeitswelt lichterloh. Ja – wie damals in Israel gilt auch heute: Wir sind ein „Volk, das im Dunkeln wandelt“.
- „Dunkel-Flaute“ liegt auch oft über unserer Seele: Die Amokfahrt in Magdeburg. Muss denn das Böse sich immer wieder ausgerechnet so manifestieren, wenn wir das Fest der Liebe und des Friedens feiern? Müssen die Waffen auch in der Heiligen Nacht brüllen? Bleischwer belastet uns manchmal der Alltag, das Alter klopft an die Tür, die Gesundheit kränkelt. Ob die Kinder ihren Weg finden, ob die Partnerschaft trägt, die Zukunft noch sicher ist. All das macht Angst und raubt den Schwung. Eine lähmende Müdigkeit macht sich breit, wer kennt sie nicht?
(2)
In all dem, was uns bedrückt, meine ich, ähneln wir dem Hirtenvolk auf den Fluren von Bethlehem. Getriebene – ständig unterwegs in Sorge um Weidegründe und Wasser. Als Außenseiter sogar vom eigenen Volk missachtet, ausgeschlossen vom gesellschaftlichen und religiösen Leben. Der Willkür der Mächtigen und den Unbillen der Natur preisgegeben. Ausgerechnet für dieses verlumpte Pack wird nun plötzlich die Nacht zum Tage, als der dunkle Himmel sich lichtet und die Hirten als erste die himmlische Botschaft vernehmen: „Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Heiland geboren, Christus der Herr“, der Erlöser und Befreier.
Und wen finden sie in der Krippe im Stall? Ein hilfloses, wehrloses Wickelkind armer Leute. Nicht einen waffenklirrenden Heerführer, den man als Messias erwartet hat und der die Römer über den Teich zurücktreiben soll. Ein Kind, ein Bündel absoluter Hilf- und Gewaltlosigkeit. Das ist für die Christenheit die eigentliche „Zeitenwende“ – nicht jene, die vor bald drei Jahren in Berlin ausgerufen worden war. Rettung, Erlösung, Zukunft sind uns nur sicher, wenn wir anders miteinander umgehen, nämlich so wie mit einem Kind. Das ist die Botschaft der Heiligen Nacht.
(3)
Ich komme nochmals auf die erneuerbaren Energien zurück. Die „Dunkel-Flaute“ würde ihre Schrecken verlieren, wenn man elektrischen Strom massenhaft speichern könnte. Denn bei Wind und Sonnenschein haben wir fast zu viel davon. Nur ein Bruchteil davon kann als Wasser in Stauseen, als elektrische Ladung in Batterien oder – umgewandelt in Wasserstoff – gespeichert und bei „Dunkel-Flaute“ abgerufen werden.
Da sind wir als Menschen besser dran: Wir haben ein großes, weites Herz und können speichern, was uns im Leben Gutes widerfährt. Weihnachten verlischt nicht, wenn wir Kugeln und Lichterketten wieder einmotten und die Hirtenlieder verklingen. Das Gloria der Engel in der Heiligen Nacht verstummt nicht einfach, sondern bleibt Gegenwart und verändert uns. Lasst uns abspeichern den Glanz dieser Heiligen Nacht, die Wärme, die uns heute Abend umfängt, die Kernbotschaft, die wir heute feiern: „Euch ist heute der Heiland, der Retter erschienen, welcher ist Christus, der Herr“. Lasst uns wie Maria „alles in unserem Herzen bewahren“. Dann ist diese gespeicherte Energie bei „Dunkel-Flaute“ abrufbar.
Kein Weihnachtsgruß, wenn er von Herzen kommt, ist umsonst. Jedes Wort des Dankes und der Anerkennung, Freude, Momente des Glücks und vor allem auch der Humor – das alles bewahren wir im Herzens-Speicher als heimliche Licht- und Kraftreserve, wenn „Dunkel-Flaute“ droht. Jedes kleine Lächeln, jeder freundliche Gruß und jede Umarmung sind aufgeladen mit Energie. Trösten und getröstet werden – das alles findet Platz in diesem Speicher. Alle Tränen auch, die wir geweint haben und uns liebevoll getrocknet wurden. Ebenso die Lebenslust der Kinder, ihre Fröhlichkeit, ihre treffenden und klugen Fragen. Ein mächtiger Ladestrom fließt sogar von Kranken und Sterbenden zu uns herüber, wenn wir teilnehmen an ihrer Not und ihrem Leiden. Wir haben genug Speicher-Kapazität. Nur eines ist nötig, dass wir das Ladekabel auch wirklich einstecken, aufmerksam in uns aufnehmen, was uns Gutes geschenkt wird. Dann tragen wir in unserem Herzens-Speicher eine Kapazität, mit der wir jeder „Dunkel-Flaute“ trotzen können.
Fließen diese Erfahrungen in unsere Gemeinden ein, würden sie gar zu „Massenspeichern“ in Städten und Dörfern. So funktionierts auch in der Technik: Selbst der mächtigste Batteriespeicher besteht aus kleinsten Zellen. So zusammengeschaltet würden wir als Christenheit ein mächtiges Potential bereitstellen, das sich als Licht und Wärme in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, ja sogar in Gesellschaft und Politik hinein entfaltet. Wir würden zu „Wärmestuben“ gegen die Herzenskälte, zu „Leuchttürmen“ für Suchende, Desorientierte und alle vom Leben Gebeutelten.
Gegen die „Dunkel-Flaute“ in dieser zerstrittenen und gespaltenen Welt muss ein gigantisches Friedens-Potential aufgebaut werden. Ein Magnetfeld voller Liebe, in dem Kriege, Hass und Gewalt einfach verglühen, verschluckt werden wie in einem schwarzen Loch im Weltall, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.
„Das ewig Licht geht da herein und gibt der Welt ein‘ neuen Schein“, singt Martin Luther in seinem Weihnachtslied. Ein „ewig Licht“ also, keine Sternschnuppe, kein flüchtiges Wetterleuchten. „Es leucht‘ wohl mitten in der Nacht, und uns zu Lichtes Kindern macht, Kyrieleis.“
Als der „Lichtes Kinder“ lasst uns nun im Abendmahl den feiern, der Licht geworden ist in unserer Finsternis.