Wie sieht die neue Transformation aus?

Eine Rezension zu: Klaus, Dörre: Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution, Berlin 2021, 345 S.

Wie kann die große ökosoziale Transformation aussehen? Welche Schritte müssen dafür gegangen werden? Und was hat das mit Sozialismus zu tun? Diese Fragen werden im Buch Die Utopie des Sozialismus von Klaus Dörre umfangreich erörtert.

Bereits am Anfang entwickelt Dörre eine Vision einer klimagerechten Gesellschaft (Kapitel I).
Diese ist etwa geprägt von „Klimawerkstätten, die sich auf Recycling, Müllvermeidung und die
Reparatur beschädigter Geräte konzentrieren […]. Unternehmen haben auf die Produktion
langlebiger Güter umgestellt.“ (19)

Angesichts einer solchen anstehenden grundlegenden Transformation votiert Dörre – entgegen Begrifflichkeiten wie „radikaler Humanismus“ oder „Postwachstum“ (Kapitel II) – für den Terminus des „Sozialismus“. Dieser muss gerade aufgrund seiner historischen Belastungen konkretisiert werden, worin Dörre einen großen Vorteil dieses Begriffes sieht. Sozialismus ist für ihn kein „unabänderliches Theoriegebäude“ (38), sondern transformiert sich als je konkrete Gegenbewegung zu einem sich veränderten Kapitalismusgefüge. Gegenwärtig – so die These Dörres – müssen sozialistische Denkmodelle ihre Plausibilität „aus der Notwendigkeit einer Nachhaltigkeitsrevolution beziehen“ (39).

Der permanente Wachstumszwang der kapitalistischen Wirtschaftsweise geht einher mit einem wachsenden Ressourcenverbrauch und größer werdenden Emissionen („Zangenkrise“; 59–63). Er steht einem nachhaltigen Zusammenleben entgegen (Kap IV) und verschärft die Ungleichheit angesichts gegenwärtiger Krisen (etwa angesichts der Coronapandemie – Kapitel X). Es ist wichtig, dass nicht neoliberale Marktradikalitäten, sondern demokratische Aushandlungsprozesse über kleiner werdende Reserven entscheiden und die notwendigen Schritte in neue ökonomische Gesellschaftsformationen gestalten. Daher bedeutet Sozialismus für Dörre: „Exakt dies, die umfassende Demokratisierung ökonomischer Entscheidungen, ist der zentrale Inhalt eines Sozialismusverständnisses, das nach maximaler zivilgesellschaftlicher Kontrolle über Produktion, Ressourcenallokation und
Güterverteilung strebt.“ (48)

Dazu gehört zunächst, eine „materielle Rückverteilung von den reichen zu den armen
Ländern und von den Privilegierten zu den verwundbarsten Klassenfraktionen“ (85). Es sind gerade die Wohlhabenderen, die einen hohen Ressourcenverbrauch mit einhergehenden Klimaschädigungen aufweisen (Kapitel V). Für neue Gesellschaftskonstellationen bedarf es einer unhintergehbaren Orientierung an den Sustainable Development Goals (Kapitel VI). Diese Ausrichtung konkretisiert sich in
gesellschaftlichen Fundamenten (Kapitel VII), die etwa mit einer Demokratisierung von Wirtschaftsentscheidungen (und auch etwa des gesamten digitalen Bereichs – Kapitel VII) einhergehen. ProduzentInnen und Zivilgesellschaften haben so ökonomische Entscheidungsmacht, Transformations- und Nachhaltigkeitsräte werden etabliert, die auf Einhaltung der SDGs achten, eine Kreislaufwirtschaft entsteht, langlebige Produkte werden hergestellt, die Care-Arbeit wird (finanziell) aufgewertet und das Verhältnis Arbeit-Zeit wird neu geregelt (etwa Arbeitszeitverkürzung – Kapitel IX).

Klaus Dörre hat ein wichtiges, differenziertes und hoch aktuelles Buch verfasst, in dem eine Transformation unserer Gesellschaft und der damit einhergehende Prozess beschrieben
werden. Inwiefern der Sozialismusbegriff jedoch das Potential hat, Mehrheit zu gewinnen,
bleibt abzuwarten. Hier braucht es weiterhin wichtige Übersetzungsarbeiten, um in die Breite
der Gesellschaft wirken zu können.

Diese Rezension ist in micha.links (02/2022) erschienen.